Robbenjagd in Finnland – das hätte ich nicht erwartet

Juni 12, 2019

Eine Jagderzählung von Max van Amelsfoort

Neben 5,5 Millionen Menschen, leben in Finnland zwischen 10.000 und 15.000 Ringelrobben und 30.000 bis 35.000 Kegelrobben. Im Abschussplan für ganz Finnland stehen 300 Ringelrobben und 1.050 Kegelrobben, das ist nicht viel.

Die Finnen haben nichts dagegen, dass die Robben ein paar Fische fangen. Doch die überaus schlauen Raubtiere haben gelernt, die Netze der Fischer unter Wasser zu zerbeißen und sich im Netz am Fang zu bedienen. Ähnlich wie ein Wolf im Schafs- oder Ziegenpferch, geraten die Robben in eine Art Blutrausch und räumen kräftig ab.
Die 80 bis 100 kg schwere Ringelrobbe beißt den Fischen die Köpfe ab und saugt sie dann sozusagen aus, der Rest bleibt liegen. Die 250 bis 300 kg schwere Kegelrobbe nimmt sich den ganzen Fisch. Doppelt ärgerlich: Der Fang ist vernichtet und die Netze sind zerstört. Das ist ein sehr großes Problem für die heimischen Fischer, die von ihrem Fang leben müssen.

Anfang April sind mein Vater Peter, Frank und ich nach Finnland aufgebrochen, um uns vor Ort ein Bild zu machen und bei der Jagd auf die Ringelrobbe ein wenig zu helfen.

Die Jagd auf Robben ist schwierig und gefährlich. Schon verhältnismäßig schwacher Wind (über 10 m/sec.) macht die Jagd unmöglich. Zum einen kommen die Robben dann nicht auf das Eis, um sich in der Sonne zu wärmen und zum anderen ist die Fahrt mit dem Boot schon bei wenig Wind zu riskant. Das Treibeis bewewgt sich so schnell, dass der Rückweg zum Hafen unter Umständen blockiert ist. In zwei Tagen kann sich das Eis um bis zu 150 km verschieben. Es gibt tatsächlich nur etwa 10 Tage im Jahr, an denen die Robbenjagd überhaupt ausgeübt werden kann.

Die Generation der Väter und Großväter unserer Jagdführer blieb oft acht Wochen draußen auf dem Eis, um Robben zu jagen. Doch die Zeiten sind vorbei. Durch die Klimaveränderungen ist das Eis nicht mehr stabil genug.

Der erste Jagdtag: Wir erleben gleich, wie wenig Wind ausreicht, um die Jagd zu vereiteln. Stattdessen gehen wir Eisfischen und hoffen auf den zweiten Tag und Windstille. Der nächste Tag: Wir haben Glück, es ist windstill und wir können starten. In einem kleinen Bötchen fahren wir fast zwei Stunden durch die treibenden Eisschollen, bis wir am dickeren Packeis ankommen. Das Boot ist vertäut und es geht endlich los.

Nun wird gepirscht oder besser gesagt gerutscht. Das Eis ist nicht überall tragfähig. Es ist zwar über einen halben Meter dick, aber sehr weich. Wir liegen auf einem langen, skiähnlichen Brett und ziehen uns mit den Händen vorwärts. Eine wirklich anstrengende Angelegenheit. Mein Kopf, der Nacken und die Schultern schmerzen schon bald. Das Eis ist nass und stellenweise so weich, dass mein Arm beim Zugreifen oft bis zum Ellenbogen im matschigen Eiswasser verschwindet.
Wir tragen weiße Tarnanzüge, die sind aber nicht wasserdicht und so bleiben weder Bauch noch Knie trocken. Wechselkleidung haben wir zum Glück im Boot. Auf diese unbequeme Art müssen wir zwei Kilometer auf dem buckeligen Eis zurücklegen. Die Eisschollen haben sich kreuz und quer übereinander geschoben. Spätestens jetzt wird klar, wie hinderlich ein ausgeprägter Bauch sein kann.

Wir sehen zwar mehrere Ringelrobben, aber sie lassen sich aus unterschiedlichen Gründen nicht angehen. Endlich ist eine Robbe in Sicht, bei der es klappen kann. Nun heißt es inne halten. Ab jetzt muss jede Bewegung sehr vorsichtig erfolgen. Die Robbe liegt neben ihrem Eisloch in der Sonne. Je trockener sie ist, desto besser. Ein nasses Fell ist sehr gleitfähig und die Robbe rutscht damit viel schneller zurück ins Wasser – vor oder auch nach dem Schuss. Das wäre nicht gut.

Die Ringelrobbe kann sehr gut sehen und hat einen ausgeprägten Geruchssinn. Zudem sind ihre Tasthaare am vorderen Kopf hervorragende Sensoren. Diese haben sogar unterschiedliche Querschnitte – rund und eckig. In regelmäßigen Abständen taucht die Robbe den Kopf in das Loch im Eis. In diesem Augenblick müssen wir absolut ruhig verharren. Sie überprüft die Umgebung und über ihre Tasthaare nimmt die Robbe jetzt Viberationen wahr, die von Bewegungen auf dem Eis durch das Wasser übertragen werden. Hebt die Robbe den Kopf, können wir uns bewegen. Ausharren, weiterrutschen – so geht es Stück für Stück voran. Bei 270 m Distanz ist Schluss. Näher kommen wir nicht heran. Bemerkt sie uns, verschwindet sie sofort in ihrem Eisloch und dann war’s das.

Wir bauen behutsam die schwere Waffe auf und justieren den Ballistikturm. Nach der anstrengenden Rutschpartie dauert es eine Weile, bis mein Puls wieder runter kommt. Aber eine ruhige Hand ist für die Platzierung des Schusses absolut notwendig. Die Robbe muss per Kopfschuss zur Strecke gebracht werden. Andernfalls verschwindet sie angeschweißt in ihrem Eisloch und sinkt auf den Meeresgrund. Das will niemand.

Die Spannung steigt, alles ist vorbereitet und die Robbe hat uns bisher nicht bemerkt. Ruhig bleiben! Warten! Die Robbe muss den Kopf heben und zwar genau in die eingestellte Flugbahn der Kugel. Der Kopf ist nicht größer als ein kleiner Handball. Jetzt! Schuss! Es hat geklappt, die Robbe liegt.

Die Robbenjagd – spannend bis zur letzen Sekunde.

Die Spannung fällt von mir ab. Die Kälte, die Nässe und die Schmerzen durch die ungewohnte Haltung habe ich völlig ausgeblendet. Jetzt spüre ich sie wieder.
WOW! Das war das aufregenste Jagderlebnis meines Lebens! Wir bergen die Robbe. Sie wird auf den Ski gebunden und wir treten den Rückweg zum Boot an. Ich kann noch gar nicht richtig fassen, was ich gerade erlebt habe.

Die Robbe wird ins Boot gepackt, wir ziehen trockene Sachen an und gönnen uns noch eine kleinen Imbiss. Dann geht es zurück zum Hafen. Das Robbenfleisch bekommen die Einheimischen, der Jäger bekommt als Trophäe die Decke.

Fazit:
Es ist eine Jagd ohne Erfolgsgarantie. Es kann sein, das man die ganze Reisezeit mit Eisfischen oder sonstwie verbringen muss, da die Robbenjagd witterungsbedingt nicht möglich ist. Keine Jagd, keine Robbe, keine Rückerstattung. Deshalb ist diese Reise nur für Jäger geeignet, die mit solch einer Enttäuschung leben können.

Hat man das Glück und es ist windstill, erlebt man eine unvergesslich spannende Jagd. Körperlich verlangt sie einem viel ab, es sind harte Bedingungen da draußen auf dem Eis. Passt alles und die Jagd ist von Erfolg gekrönt, wird dies sicher eines der spannensten Jagderlebnisse sein, die es derzeit auf dieser Welt gibt.

Ein herzliches Waidmannsheil

Ihr Max van Amelsfoort

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